Rückblick
MICROELECTRONICS FOR FUTURE 2023 | 8. November 2023 in Berlin
Unter dem Motto „Wie schaffen wir ein Mikroelektronik-Ökosystem in Europa“ diskutierten hochkarätige Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaft und Wissenschaft, darunter Dr. Gunther Kegel (VDE-Präsident), Cedrik Neike (ZVEI-Vizepräsident), Dr. Jörg Kukies (StS im Bundeskanzleramt) und Christiane Benner (IG Metall) unter der Moderation des F.A.Z.-Herausgebers Carsten Knop über Chancen, Risiken und Weichenstellungen für die Zukunft des Industriestandorts auf dem ZVEI-Summit „Microelectronics for Future“. Rund 150 Gäste nahmen am Event am 8. November 2023 im F.A.Z. Atrium in Berlin teil.
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„Chips haben den Senator-Status bei der Lufthansa. Jeder Chip reist 2,5 mal um die Welt bis er verarbeitet wurde“, eröffnete Dr. Gunther Kegel (ZVEI-Präsident und Pepperl&Fuchs), den diesjährigen Mikroelektronik-Summit in Berlin. Technologische Souveränität, Resilienz der Wertschöpfungsketten, Vermeidung einseitiger Abhängigkeiten und eine international wettbewerbsfähige Mikroelektronik müsse das Ziel Deutschlands und Europas sein, so sein Appell. Dass Deutschland diesem Ziel ein gutes Stück nähergekommen sei, bewiesen die signifikanten Investitionen in die Halbleiterindustrie, die die Bundesregierung auf Basis des EU Chip Act sicherstellen konnte. „Die Elektro- und Digitalindustrie sieht das starke Engagement des BMWK und der Ampel-Koalition für Halbleiterförderung positiv“, sprach Kegel in Richtung Politik und fügte hinzu, dass der ZVEI den IPCEI-Prozess mit BMWK, Bundeskanzleramt und weiteren Stakeholdern begleitet hat. Kegel machte jedoch auch deutlich, dass es weiterer langfristiger Förderinstrumente bedarf. Europa könne nur dann am Ziel, 20 Prozent Anteil am globalen Halbleiter-Markt festhalten, wenn die Produktionskapazität massiv gesteigert würde. „Angetrieben von der Klimawende und der Digitalisierung, wird sich der globale Halbleiter-Markt über alle Chip-Typen hinweg von heute 550 auf 1000 Milliarden USD in 2030 verdoppeln“, hob Kegel hervor.
Welche Rolle spielen Transformationstechnologien für die Klimawende? Eine große, machte Cedrik Neike (ZVEI-Vizepräsident und Siemens), in seiner Keynote deutlich: Die Industrie verursache 37 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent der globalen Treibhausemissionen. „Halbleiter sind die Lösung für dieses Grundproblem. Alles blickt immer nur auf die IT, aber die Welt läuft nur mit OT (Operation Technologie).“ Die Mikroelektronik bilde die Schlüsselkompetenz für den Brückenschlag zwischen IT und OT. Zudem sieht Neike in der Mikroelektronik einen essenziellen Standortfaktor: „Europa ist in Zukunft nur industriell erfolgreich, wenn auch die Mikroelektronik in Europa erfolgreich ist.“ Dafür müsse im Wettbewerb völlig anders gedacht werden, das Ökosystem von der Nachhaltigkeitsseite aufgebaut werden. Die Chips von morgen seien schneller, leistungsfähiger und nachhaltig produziert. „Über Nachhaltigkeit können wir weltweit im Wettbewerb mitziehen“, erklärte Neike
Im anschließenden Panel diskutierte Neike mit MdB Dr. Sandra Detzer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Prof. Christoph Kutter (Fraunhofer EMFT), und Ole Gerkensmeyer (Wolfspeed) u. a. darüber, wie die europäischen Halbleiterziele in einem nicht fairen geopolitischen Wettbewerb erreicht werden können: „Über einen großen Schulterschluss mit der Industrie“, sagte Dr. Detzer. Prof. Kutter ergänzte: „Energiewende geht nur mit Power-Halbleitern.“ Es sei ganz simpel: Ohne Halbleiter keine PV-Fabrik, kein E-Auto, keine Digitalisierung. Die Datencenter nur einfach weiterbauen, werde nicht funktionieren. „Wir müssen Prozessoren und Chips bauen, die weniger Energie in der Produktion brauchen.“ Gerkensmeyer betonte dabei die Bedeutung von Fachkräften: „Wir haben einen großen Nachholbedarf an MINT-Fachkräften, die nicht nur Verbrennungsmotor können, sondern auch Elektrotechnik.“
In seiner Keynote betonte Dr. Jörg Kukies (StS im Bundeskanzleramt), die Bedeutung, die ganze Wertschöpfungskette nach Deutschland zu bringen und in der Breite zu fördern. „Deutschland entwickelt sich gerade von der Europa- zur Weltklasse. Internationale Firmen im Halbleiter-Umfeld können es sich nicht mehr leisten, nicht in Deutschland ansässig zu sein“, sagte Kukies und fügte hinzu: „Jede Fab zieht weitere Unternehmen an. Die Frage ist, wollen wir in Europa diese Industrien haben? Dann hat das auch seinen Preis. Oder nimmt man es hin, dass sich Chip-Industrie auf Asien und USA beschränkt? Die Politik hat sich für den Standort Europa entschieden.“
Anschließend diskutierte StS Kukies mit Cedrik Neike (Siemens), Andreas Urschitz (Infineon Technologies) und ZVEI-Präsident Dr.-Ing. Gunther Kegel, welchen Impact Investitionen in die Halbleiter-Industrie auf unseren Wirtschaftsstandort haben. Urschitz machte deutlich: „Ohne Mikroelektronik wird es keine Klimaneutralität geben. Den Planeten zu dekarbonisieren und Klimaneutralität wahr werden zu lassen, wir tun das im Gleichklang mit Wirtschaftswachstum.“ Die Investitionen seien sinnvoll, es gebe schließlich einen Subventionswettbewerb. Neike sagte: „Die Investitionen sind wie Leuchttürme, um Schiffe in die richtige Richtung zu führen.“ Aber jetzt beginne die Arbeit: Wie werde sichergestellt, dass mit den großen Investitionen sich weitere Firmen ansiedeln und das gesamte Ökosystem wächst? Dr. Kegel betonte die starke globale Zusammenarbeit in der Halbleiterbranche: Es sei nicht sinnvoll, eine protektionistische Mauer um Europa zu bauen und autark agieren zu wollen. Mit Blick auf China und dem Kurs des De-Risking erklärte er: „Aus der Abhängigkeit der vergangenen 30 Jahren nahtlos rausgehen, geht nicht ohne Schaden für die Wirtschaft. Es bedarf Zeit, sich neue potenzielle Märkte zu erschließen.“
Christiane Benner, Erste Vorsitzend der IG Metall, sagte in ihrer Keynote, es gebe in Deutschland jetzt ein anderes Verständnis, wie wichtig industrielle Wertschöpfung sei und wie sehr Demokratie und Wohlstand mit ihr zusammenhingen. „Halbleiter sind in dieser Debatte eine wichtige Facette, auch für den Umbau der Industrie ins digitale Zeitalter. Unsere Belegschaften sind bereit, diese Veränderungen mitzugehen.“ Wichtig sei aber zu verstehen, dass dies ein Prozess über mehrere Jahre sei. Durch die grüne Industrie entstünden neue Arbeitsplätze, gleichzeitig müsse man aber auch die regionalen Wurzeln der Belegschaften berücksichtigen. Sie forderte zudem Förderzusagen mit Tarifzusagen zu verbinden, um Arbeitgeber attraktiver zu machen. Beim Thema KI sieht Benner eine große Chance für die Wettbewerbsfähigkeit in der Verbindung mit Produktionskompetenz.
In der folgenden Podiumsdiskussion mit Frau Benner, MinDir Engelbert Beyer (Bundesministerium für Bildung und Forschung), MdB Tilman Kuban (CDU Deutschlands) und Dr. Martin Sauer (Bosch) ging es um Fachkräfte und den Einsatz von KI. Für Dr. Sauer bedeute die Durchführung der IPCEI einen hohen Ressourcen-, Arbeits- und Zeitaufwand. Gerade wenn man hochinnovativ sei, benötigen die Unternehmen auch in dieser Hinsicht ein Level Playing Field, um wettbewerbsfähig zu sein. Dafür brauche es attraktive Beschäftigungsangebote – und dafür müsse beim Tranformationsprozess mit der Gewerkschaft zusammengearbeitet werden. Beyer betonte, dass grundsätzlich der Kompetenzaufbau in der Mikroelektronik ein Produkt der Förderung über viele Jahre sei. Die IPCEI adressierten Forschungsvorhaben mit erheblichem zeitlichem Aufwand. Die Länge der Antragsverfahren beförderten aber auch Partnerschaften mit Hochschulen und zahlten sich langfristig durch Kompetenz- und Wissensaufbau aus. Beim Thema KI sehe er die Gefahr, dass sie überreguliert werde, bevor sie überhaupt auf den Markt gebracht werden könne. Kuban ergänzte: „Wir müssen denn jüngeren Leuten klar machen, statt Politikwissenschaften besser Elektrotechnik zu studieren, um die grüne Transformation voranzutreiben.“ Zum Thema KI sagt er: „Wenn es um’s Thema KI geht, herrscht erstmal große Euphorie. Für uns hier ist es allerdings jetzt an der Zeit, wieder Innovationen zu fördern. Die Mentalität des Machens fehlt in den Behörden. Die USA nutzen Daten für Profit, Chinesen für Überwachung und wir: um sie zu schützen!“ Das müsse sich ändern.